Seit einer Woche waren Zach Urity und Bjarne Buchholz nun dran, das Innere der neuen Basis im Mühlenhof bei Seeweiler im Schwarzwald zu richten. Zach hatte immer den Überblick, was genau geschehen sollte. Die Arbeit ging Schritt für Schritt voran. Die beiden hatten das neue Lager sortiert und die vielen Kisten, die die Mitglieder des Quadrivium-Clubs aus ihrem alten Hauptquartier mitgebracht hatten, nach dort verfrachtet. Damit wurde im Wohnbereich weniger Platz benötigt und man konnte diesen umgestalten. Heute war etwas besonderes dran.
„Okay“, stellte Zach fest, „heute werden wir die neuen Schlafräume fertig einrichten, mit den neuen Betten. Außerdem werden wir den Kleiderbestand austauschen gegen neue Sachen. Die alten – die teilweise wirklich alt sind – kommen in die Altkleidersammlung.“
„Alles klar, Chef“, erwiderte Bjarne, „aber wie wäre es mit etwas Ablenkung während der Arbeit?“
„Hm… hast recht.“ Zach hob den Kopf und sprach in den Raum: „Cosilexa?“
Eine weibliche Computerstimme antwortete: „Cosilexa hört.“
„Kannst Du uns etwas Musik spielen?“
„Ja, das ist möglich“, war die Antwort des Zentralcomputers der Basis. „Aber ich bräuchte ein paar genauere Angaben. Welche Musik darf ich denn abspielen?“
Zach und Bjarne sahen sich an. Beide hatten keine Ahnung, was sie antworten sollen. Schließlich hatte Zach eine Idee.
„Cosilexa, hast Du schon mal Musik zur Unterhaltung hier in der Basis gespielt?“, fragte er.
„Positiv. Die Mitglieder des Teams von Quadrivium-Club haben mich hin und wieder um Musik gebeten.“
„Kannst Du uns einfach eine Liste zusammenstellen aus deren Musikgeschmack und das ganze in zufälliger Reihenfolge abspielen?“
„Positiv. Haben Sie eine Höchstanzahl an Liedern, die ich vorbereiten soll?“
„Pff… nein.“
„Verstanden. Ich habe eine Liste aus 36 Liedern kompiliert und werde diese nun abspielen. Falls Sie mehr wünschen, geben Sie Bescheid.“
„Alles klar.“
[ Wer mit Zach und Bjarne fühlen will, kann diese Liste abspielen während des Lesens des restlichen Kapitels. ]
Als erstes war ein Orchester zu hören. Streicher. Holzblasinstrumente. Dann nahm das Stück einen dramatischen Verlauf. Bjarne blickte Zach ungläubig.
„Wer von denen hat wohl so einen Musikgeschmack?“, fragte er.
„Keine Ahnung“, antwortete Zach. „Klingt aber ganz hübsch.“
„Wenn Du meinst. Aber wie wäre es, wenn wir uns die Arbeit etwas leichter machen und ein kleines Quiz veranstalten?“
„Was für ein Quiz?“
„Wir versuchen zu raten, wessen Musikgeschmack das Lied am ehesten entspricht: Mac, Jack, Melville oder Dan. Wie wär’s?“
„Wenn das die Arbeit leichter macht – gerne.“
Während das Stück weiterlief, bereiteten die beiden die Einzelteile der neuen Betten vor. Jedes Bett war aus sechs Teilen zusammengestellt, die in die Räume von Gebäude 2 transportiert werden mussten. Hier war die Unterkunft. Die alten Betten lagerten schon in Einzelteile zerlegt auf dem Hof. Sie würden bald ins Lager gebracht werden. Aber jetzt musste man die Abwesenheit der Leute vom Quadrivium-Club nutzen und die Zimmer richten. Während die beiden am ersten Zimmer zugange waren, endete das Orchesterstück. Ein Klavier war zu hören, dann die Stimme eines Mannes, der sanft ein paar Zeilen sang.
In a matter of a moment Lost till the end of time It's the evening of another day And the end of mine1
Dann wechselte es auch hier in einen etwas dramatischeren Stil, bevor es weiterging:
Now the starlight which has found me Lost for a million years Tries to linger as it fills my eyes 'Till it disappears1
„Hm“, brummte Zach, „Alan Parsons Projekt, Some Other Time. Das würde zu allen vieren passen.“
„Wie lange kennst Du Sie eigentlich schon?“
„Weiß ich schon gar nicht mehr. Ich habe alles mitbekommen, wie sie hier angefangen haben bis jetzt zur Gründung vom Club.“
Sie hatten die Bettkästen des ersten Bettes ans Kopfstück angeschraubt und waren gerade mit dem Fußteil beschäftigt, als dieses Lied beendet war und ein neues begann. Das Stück war wesentlich beschwingter. Ein Klavier herrschte vor und wieder sang ein Mann:
Ali dances and the audience applauds Though he's bathed in sweat, he hasn't lost his style Ali don't you go downtown You gave away another round for free, whoa2
„Vielleicht war das eine blöde Idee mit dem Wettbewerb“, musste Bjarne zugeben. „Bei dem Lied wüsste ich jetzt auch nicht… passt irgendwie zu allen…“
I've got the old man's car I've got a jazz guitar I've got a tab at Zanzibar Tonight that's where I'll be, I'll be2
Sie schraubten weiter. Als das Fußteil ebenfalls an den Bettkästen befestigt war, kam schon das nächste Lied:
The fishing boats go out across the evening water Smuggling guns and arms across the Spanish border The wind whips up the waves so loud The ghost moon sails among the clouds Turns the rifles into silver on the border3
„Ich muss Dir recht geben“, stellte Zach fest. „Blöde Idee. Die Lieder sind ganz nett. Aber auch bei dem hier wüsste ich nicht, wem ich das zuordnen sollte. Holen wir die Matratzen und schauen weiter.“
Sie setzten das Bett weiter zusammen. Zuletzt legten sie den Topper oben drauf. Dann gingen sie ins nächste Zimmer. Immer im Fluss bleiben, hatte sich Zach gesagt. Erst in allen Zimmer die Betten, dann den Rest. Stück für Stück. Während sie wieder mit dem Aufbau der Schlafstatt anfingen, klang auch schon das nächste Lied aus dem Lautsprechern des Basiscomputers, elektronisch und irgendwie tragisch:
I thought I knew you well But all this time I could never tell I let you get away Haunts me every night and every day4
„Na endlich!“, rief Zach aus, während er eine Schraube festzog. „Ich kann mir vorstellen, wer sich das angehört hat, immer wieder und wieder.“
„Und, wer?“
„Mac. Eindeutig.“
„Meinst Du?“
„Ich weiß ja nicht, was da bei seiner letzten Beziehung schiefgegangen ist, aber irgendwas hat ihn da sehr mitgenommen. Auch sein Singledasein bekommt ihm nicht. Ich glaube, er fühlt sich sehr verlassen.“
„Singles sind sie ja alle.“
„Aber keiner redet so häufig davon wie Mac. Es sind jetzt bestimmt… na… sechs Jahre, vermute ich.“
„Irgendwie traurig. Versucht er den was dagegen zu tun?“
„Ich denke, er hat von den Vieren die meisten Dating-Apps auf dem Smartphone.“
„Ob das was bringt?“
„Keine Ahnung. Bisher ja wohl eher nicht.“
Die beiden schraubten weiter. Das eine Lied, das vom „Gestern“ und der verlorenen Liebe sprach, klang aus und ein sehr dynamisches Stück begann in einer Sprache, die weder Zach noch Bjarne verstanden:
Jorge vem de lá da Capadócia Montado em seu cavalo Na mão a sua lança Defendendo o povo do perigo Das mazelas do inimigo Vem trazendo a esperança5
„Was?“, stotterte Bjarne überrascht. „Ist das Spanisch?“
„Dafür ist es nicht hart genug“, entgegnete Zach. „Italien- Nein! Portugiesisch! Dann ist alles klar!“
„Ist es?“
„Ja, da kommt nur Jack in Frage. Er war vor ein paar Jahren in Brasilien, ich wette mit Dir, das Lied kommt von da.“
„Was Du alles weißt.“
Sie arbeiteten weiter. Als sie zum Fußteil kamen, erklang ein neues Lied, das so gar nichts mit der Dynamik des letzten gemein hatte. Es klang eher traurig und wurde von einer Frau gesungen:
Hoy en mi ventana brilla el sol Y el corazón Se pone triste contemplando la ciudad Porque te vas6
„Boah, wieder sowas trübsinniges“, bemerkte Bjarne.
„Aber diesmal ist es Spanisch, glaube ich. Kommt wohl wieder nur einer in Frage.“
„Oder vielleicht geht es allen nahe und nur Mac redet drüber. Ich sag Dir was, wir hören uns das nächste Lied noch an, und wenn das auch so depressiv ist, lassen wir das ganze erstmal. Wir haben schließlich Arbeit zu erledigen, das geht nicht so gut, wenn mir die Jungs die ganze Zeit über Leid tun!“
„Einverstanden.“
Sie schraubten weiter und das nächste Lied kam. Es wurde aber nicht besser, im Gegenteil, erst kam eine Werbung für einen Essenlieferdienst, dann wurde es wieder depressiv:
Round Like a circle in a spiral Like a wheel within a wheel Never ending or beginning On an ever spinning reel Like a snowball down a mountain Or a carnival balloon Like a carousel that's turning Running rings around the moon7
„Okay, das reicht!“, sagte Zach. „Cosilexa, Musik unterbrechen. Merk Dir die Stelle, an der wir waren.“
„Verstanden.“
„Wir machen jetzt einfach weiter“, erklärte er. „Vielleicht kommen wir bei anderer Gelegenheit auf das Spiel zurück.“
„Alles klar!“
Damit machten sie sich fortan ohne musikalische Begleitung an die Arbeit. Doch plötzlich sah Bjarne auf.
„Du, sagt mal…“, begann er.
„Ja, was?“
„Wie heißt sie eigentlich?“
„Wie heißt wer?“, entgegnete Zach verwirrt.
„Die Basis hier. Die Hauptbasis heißt ATLANTIS. Und die hier?“
„Äh, keine Ahnung. Mühlenhof ist die historische Bezeichnung. Aber ob die Basis auch so genannt wird – keine Ahnung.“
„Müssen wir mal fragen.“
„Sollten wir.“
1 – Alan Parsons Projekt: „Some Other Time“
2 – Billy Joel: „Zanzibar“
3 – Al Stewart: „On The Border“
4 – Foreigner: „Yesterday“
5 – Seu Jorge: „Alma de Guerreiro“
6 – Jeannette: „Porque Te Vas“
7 – Noel Harrison: „Windmills Of Your Mind“